Bereits als Kind hatte ich immer wieder den gleichen Traum. Ich kann fliegen. Und jedesmal wenn ich munter wurde, wollte ich sofort wieder zurück in den Traum. Schaffte es aber nie…
Wenn man so wie ich, sehr oft durch hohe Wände klettert und oftmals langwierige Abseilaktionen kennt, denkt man sich schon mal, wie einfach es doch wäre, sich mit dem Fallschirm am Rücken an die Kante zu Stellen und einfach abzuspringen…
Die Erzählungen, Bilder und Videos von Freunden die diesen Sport, das B.A.S.E. Springen ausüben, faszinierten mich extrem. Eines war mir sofort klar. Das will ich auch lernen. Doch wusste ich damals noch nicht, wie lange der Weg sein würde.
2015 absolvierte ich meine Ausbildung zum Fallschirmspringer in Wels. Die entspannten Leute, die lebensfrohe Atmosphäre und die Faszination Freifall haben es mir angetan. Ich kann mich noch erinnern, wie angespannt ich die ersten male im Flieger auf dem Weg nach oben war. Doch meine Lehrerin Sieglinde beruhigte mich mit ihrer entspannten Art und einem breiten Grinsen im Gesicht. Dieses Grinsen sollte ich dann auch nicht mehr loswerden. Von Sprung zu Sprung fühlte ich mich sicherer und wohler in der Luft. Nach ca. 70 Sprüngen aus dem Flieger, fühlte ich mich bereit um meinen Fokus auf die Vorbereitungen aufs BASE Springen zu legen. Mein guter Freund Peter Salzmann wurde zu meinem Ansprechpartner und Mentor, wir sprachen uns ständig ab und Peter gab mir sehr wertvolle Tipps, legte für mich das Programm fest und motivierte oder bremste mich, jenachdem was gerade nötig war.
Ein wichtiges Tool beim Springen ist ein sogenannter Tracksuit. Das ist ein Anzug der sich im Freifall mit Luft füllt und somit die Fallgeschwindigkeit in Vorwärtsfahrt umwandelt. Das ist beim Springen von einer Felswand entscheidend, damit man weit weg von der Wand fliegen kann und somit eines der gefährlichsten Szenarien, eine 180 Grad Schirmöffnung nahe der Wand, eliminieren kann. Aber richtiges und effizientes Tracking soll gelernt sein und muss trainiert werden. Das tat ich.
Nach ca. 250 Sprüngen aus dem Flieger fühlte ich mich endlich bereit. Peter und ich machten uns auf den Weg nach Kroatien zu einer 110 Meter hohen Brücke, die sich ideal eignet um die ersten BASE Sprünge zu absolvieren und die Absprungtechnik, auch EXIT genannt, zu perfektioneren. Bevor man aber in die Terminale Geschwindigkeit übergeht, wirft man den Hilfsschirm den „Pilotchute“ und der Spaß ist schon vorbei, denn 110 Meter sind nicht gerade viel.
Nach 10 Sprüngen von der Brücke war Peter happy mit meinen Exits und es kam was kommen musste….
Next Stop – Monte Brento.
Eigentlich fühlte ich mich sehr gut vorbereitet und bereit für meinen ersten Sprung von der Felswand. Als wir am Abend in Dro an der Bar Parete Zebrata ankamen, wurden wir jedoch Zeugen wie eine Russische Springerin am Schirm hängend, mit mehreren Linetwists in die Platten flog und mit riesigem Glück überlebte. Das gab mir einen echten Dämpfer und das ist genau das, was man vor seinem ersten Sprung nicht sehen will. An Schlaf war für mich nicht zu denken und als wir am nächsten Morgen am Exit standen und ich mich zum erstenmal anzählte „3,2,…!“ konnte ich mich nicht fokusieren und mich fallen lassen. Ich wollte mich auf gar keinen Fall zum Sprung überwinden müssen. Ich hatte eine Vorstellung im Kopf wie es sich anfühlen könnte, und das Gefühl an dem Morgen stimmte mit dem Gefühl meiner Vorstellung überhaupt nicht überein. Die Anspannung fiel von mir ab. Das wars. Ich ging zufuß runter. War das ein Zeichen?? Ist das einfach nichts für mich? Dieser Sport ist definitiv nicht für jeden geeignet, vielleicht auch nicht für mich? Wer weiß?
Doch es hat mich einfach nicht losgelassen. Einige Wochen später und nach 2 Sprüngen aus dem Paragleiter, fühlte ich mich dann doch bereit. Peter und ich machten uns erneut auf den Weg nach Arco.
„Und springst morgen?“, so lautete die erste Frage von Peter. Ich wusste es nicht. „Mal schauen!“, antwortete ich, natürlich wollte ich es unbedingt, aber ich dachte mir, wenn ich sage „JA LOGISCH. IST JA NICHTS DABEI VON EINER 1000 METER WAND RUNTERZUSPRINGEN!“, würde er es mir auch nicht abkaufen und der Druck in mir steigt ins unermessliche. Wenn man kurz vor der Realisierung eines Lebenstraumes steht, tauchen auf einmal viele Fragen sogar Zweifel auf, vor allem wenn man, wie in meinem Fall, eine der kompromisslosesten Sportarten überhaupt, sicher betreiben will. Ich bin zuhause noch sichtlich angespannt, aber zum Glück gibt mir meine Freundin/ Frau July noch etwas mit auf den Weg,
„Scheiß di nid an, wenns da nid taugt, gehst halt wieder runter!“. J
Am nächsten Tag bei der Taxifahrt zum Passo San Giovanni war ich sehr in mich gekehrt und musste mit mir ins Reine kommen. Man muss alles ausblenden, die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser Tätigkeit, die Tatsache, dass ich zwei kleine Kinder zuhause habe, Familie und Freunde dich sich Sorgen machen, all das steht in Form eines inneren Berges vor dir, den du überwinden muss. Erst wenn du damit klar kommst und du zu 100% davon überzeugt bist, kannst du dich fokussieren, durchatmen und den ultimativen Schritt ins Ungewisse machen.
Mit Peter hatte und habe ich einen wirklich guten Freund und den besten Mentor und Coach den man sich wünschen kann. Er kann auf beinahe 1000 Base Sprünge zurückblicken und mit seiner Erfahrung, seinem Wissen, seiner Geduld und seinem Einfühlvermögen begleitete er mich auf dem Weg meinen Traum zu verwirklichen.
29.November 2019
Bereits zum zweiten Mal gehe ich nun den Weg zum Monte Brento Exit Point. Luki, Peter und ich spazieren hinauf. Die Vibes mit den Jungs sind der Hammer. Heute ist es soweit. Oder auch nicht. Ich weiß es immer noch nicht. Ich will es schaffen, ich will meinen ersten Sprung von der 1000 Meter hohen Felswand machen, aber jetzt da es soweit ist, jetzt wo ich unmittelbar da stehe wo ich all die Jahre stehen wollte, geht es in meinem Kopf ziemlich rund. Werde ich es schaffen?
Oben angekommen, heißt es durchatmen, fokussieren, den Pilotchute, das ist der kleine Hilfsschirm, der den Hauptschirm aus dem Container zieht nochmals sauber zusammenlegen, das BASE Rig anlegen, die letzten Checks machen, ob alles ordnungsgemäß verschlossen ist und dann spazieren Peter, Luki und ich nach vorne. Die Stimmung, das Licht und die Bedingungen sind perfekt.
Ich weiß, jetzt muss alles schnell gehen, sonst ist die Entschlossenheit schnell wieder verflogen und die Zweifel nehmen überhand. Peter steht rechts von mir. Er springt mit Wingsuit. „Du schaffst es!“, sind seine letzten Worte. Ich atme tief durch, fixiere den Horizont, Atme aus, meine Hand greift nochmal zum Handdeploy, ich Atme nochmal aus, vor mir geht es 1000 Meter runter, gähnende Leere. Ich zähle 3,2,1…. und GOO!!
Ich stoße mich kräftig von der Wand ab und mein Körper verlässt den festen Absprungpunkt. Jetzt gibt es kein zurück mehr. Ich fühle den Freifall, fühle die Beschleunigung, sehe in die ganze Wand, es gibt nur noch das Hier und Jetzt. Das ist der Moment auf den ich 10 Jahre hingearbeitet habe. Die Anspannung weicht einem Gefühl der Routine, als ich plötzlich den gewohnten Luftpolster wie aus dem Flieger spüre, ich lege die Hände an und beginne zu fliegen. Was für ein Gefüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüüühl.
Tatsächlich unbeschreiblich. Nach ca. 10 Sekunden greift meine rechte Hand zum Handdeploy. Ich ziehe den Hauptschirm, wenig später ein fester Ruck und PAMM, wie ein Paukenschlag öffnet sich der Fallschirm. Ich kann nicht mehr aufhören vor Freude, Glück und Erleichterung zu schreien. Ein Traum ist wahr geworden, an diesem Morgen am Monte Brento. Ich hänge am Schirm und gleite hinaus zur Landing, plötzlich höre ich ein lautes Zischen, Peter fliegt ca. 10 Meter neben mir vorbei mit 250Km/h, verändert seinen Flugwinkel, beschleunigt damit nochmals und geht dann in einen massiven Flare (Steigflug!) über, zieht seinen Fallschirm, der sich natürlich perfekt öffnet und auch er schreit vor Freude. Absolut IRRE!!!
Ich lande und Peter erwartet mich schon. Ich kann es nicht fassen. Wir jubeln, schreien und umarmen uns. Ich fühle nur noch Dankbarkeit, Erleichterung und Vorfreude. Einige Stunden später stehen wir wieder am Exit, ich bin bei weitem nicht mehr so nervös und angespannt, zähle mich an und springe ab. Ein neues Kapitel in meinem Leben hat begonnen, eine neue Reise, ein neues Abenteuer und ich kann es kaum erwarten endlich wieder oben zu stehen, wenn es heißt, 3,2,1… GO!!